Neuigkeiten

In Echtzeit - Digitale Formate für Autor*innenlesungen

Online Autor*innenlesungen sind etwas Anderes als Begegnungen in Präsenz - so viel war schon kurz nach Beginn der Pandemie klar. Aber welche Bedingungen lassen eine digitale Lesung inspirierend werden? Was sind die besten künstlerische Formate und die notwendigen technischen Voraussetzungen für online Veranstaltungen?

Dem wollten unsere Landesverbände des Friedrich-Bödecker-Kreises Mecklenburg-Vorpommern und Berlin mit den Projekten „In Echtzeit“ nachgehen. Grundidee war, Leseformate für Konferenztools zu entwickeln, bei denen die digitale Ko-Präsenz von Autor*in und Kindern kombiniert wird mit vorproduzierten digitalen Inhalten. Im Rahmen der Projekte konnten sich Autor*innen und Medienkünstler*innen überregional zusammenfinden, um mit solchen Formaten zu experimentieren.

Als Einstieg bekamen alle Beteiligten eine thematische Einführung von Dorit Linke, die als eine von wenigen Kolleg*innen unabhängig von der Pandemie schon seit 2019 online Lesungen anbietet. Außerdem stand ein Technik-Pool zur Verfügung und ein Ansprechpartner für technischen Support. Die folgenden Arbeitsprozesse in den einzelnen Teams verliefen sehr unterschiedlich. Zum Teil haben sich Autor*in und Medienkünstler*in sofort auf eine Umsetzung verständigen können, zum Teil waren es längere kreative Auseinandersetzungen. Für zwei Autor*innen stellte sich das Projekt trotz Unterstützung als zu anspruchsvoll heraus, sodass die begonnenen Prozesse nicht weitergeführt wurden.

Die Ergebnisse der medienkünstlerischen Arbeiten sind so bunt wie die Bücher um die es geht: Atmosphärische Experimentalfilme, Tonaufnahmen mit animierten Illustrationen, ein Zeichentrickfilm, ein interaktives digitales Spiel, filmisch präsentierte optische Täuschungen, Bildsequenzen zu Photoshop-Tricks, Motion-Graphics als Hintergrundbilder, Kompositionen u.v.a.m. Die digitalen Inhalte wurden von den Autor*innen dramaturgisch in ihre Lesungen eingebaut. Einige stellen etwa einen Film als Einstieg an den Anfang ihrer Lesung, andere lesen parallel zu den animierten Illustrationen oder spielen Bildsequenzen ein, um Inhalte zu vertiefen, wieder andere nutzen Hintergrundbilder zur Verdeutlichung von Erzählebenen.

Mehrere der so entwickelten Lesungen wurden an drei aufeinanderfolgenden Tagen in der Hunsrück-Grundschule in Berlin präsentiert, andere an Sekundarschulen, Gymnasien und OSZ in Berlin, Rostock, Wismar und im ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommerns. Bei den Veranstaltungen konnten wir wertvolle Erfahrungen sammeln, insbesondere wenn Überraschungen passiert sind. Dabei haben wir u.a. gelernt:

Für die Einbindung der digitalen Inhalte in ein Konferenztool gibt es verschiedene Möglichkeiten. Am einfachsten erscheint es über das Aktivieren der ‚Bildschirm teilen‘ Funktion, was allerdings etwas holprig wirkt und der/die Autor*in selbst ist dann nur auf der kleinen Kachel zu sehen. Verwendung fand deshalb auch die Präsentations-Software Keynote und die Streaming-Software OBS. Vielen Autor*innen erschien es kompliziert sich da einzuarbeiten, aber insbesondere die Beschäftigung mit OBS lohnt sich. Hier kann der/die Autor*in sich etwa mit Greenscreen-Technik eine eigene visuelle Umgebung für das Buch schaffen oder sein Kamera-Bild in Bezug zu den digitalen Inhalten setzen.

Die konkrete technische Vorbereitung für die Veranstaltung ist immer komplizierter als erhofft. Schulen nutzen unterschiedliche Konferenztools. Microsoft Teams, big blue button oder Zoom haben alle etwas andere Funktionen. Auch ob ein Whiteboard genutzt wird oder der Laptop an einen Beamer angeschlossen wird, kann unterschiedliche Schwierigkeiten zur Folge haben. Dass die Kinder vor Ungeduld mit den Füssen scharren, während der Lehrer vorne an der Technik verzweifelt, sollte nicht riskiert werden. Darum muss vorher unter Originalbedingungen ein Technikcheck erfolgen.

Der Aufbau einer online Lesung unterscheidet sich von dem einer Präsenzlesung. Kommunikation über ein Konferenztool verleitet manchmal dazu, mehr zu reden als die Kinder interessiert. Weil der*die Autor*in die Stimmung in der Klasse digital weniger gut einschätzen kann, spielt hier die Lehrperson eine wichtige Rolle als Vermittler*in, die z.B. in einer persönlichen Chatnachricht Hinweise zur (fehlenden) Aufmerksamkeit oder zum Zeitmanagement geben kann. Ein weiterer Unterschied ist die Notwendigkeit, den Kindern den live-Aspekt der Veranstaltung erlebbar zu machen. Sie sitzen eben nicht vor einem Film, sondern der*die Autor*in ist jetzt in diesem Moment für sie da und ihre Beiträge und Reaktionen sind von Belang. Kommunikation findet statt. Das wird durch interaktive Momente in der Lesung deutlich. Manche Autor*innen kommen mit den Kindern ins Gespräch oder haben digitale Spiele vorbereitet, manche regen zum Malen von Bildern an oder beziehen Gegenständen ein, die von der Lehrperson im Klassenraum vorbereitet werden, z.B. Objekte, die für einzelne Abschnitte der Geschichte wichtig sind. Wenn die Lesung nach jeweils etwa zehn Minuten solche interaktiven Momente enthält, können sich auch kleinere Kinder gut auf eine online Veranstaltung einlassen.

Diese ersten Erfahrungen bilden nur einen Teil der Erlebnisse ab, der vielleicht aber neugierig aufs Weiterdenken macht. Für uns ist klar, dass sich digitale Live-Lesungen neben Präsenz-Lesungen oder vorproduzierten Lesungen als ein eigenes künstlerisches Format mit großem Potential für die Literaturvermittlung weiterentwickeln werden. Darauf sind wir gespannt!

 

Rike Reiniger, Friedrich-Bödecker-Kreis in Mecklenburg-Vorpommern e. V.


Die Projekte wurden im Rahmen von Neustart Kultur zum einen von der Kulturstiftung der Länder (FBK in Mecklenburg-Vorpommern) und zum anderen vom Deutschen Literaturfonds (FBK im Land Berlin) gefördert.

Infos zum Projekt und den Beteiligten in Mecklenburg-Vorpommern: Home: Bücher in Echtzeit (buecher-in-echtzeit.de)

Infos zum Berliner Projekt und den Beteiligten: Home: wahr ≠ wirklich ≠ echt (wahr-wirklich-echt.de)

© 2020 Bundesverband Friedrich-Bödecker-Kreis